Lauterbach kulinarisch

Wie jede andere Region hat auch Lauterbach seine ganz eigene Esskultur. Geprägt von dem rauen Klima des Vogelsbergs und der harten Arbeit auf dem Feld entwickelten sich hier eher rustikale Gerichte. Es wurde das gekocht, was zur Verfügung stand. Kartoffeln zum Beispiel wurden in vielen Speisen auf unterschiedlichste Art zubereitet. Einfach im kochenden Wasser als "Quellmänner" mit Matte (Quark), mit Zwiebeln und Quark vermengt und auf einem Brotteig als "Salzekuchen" gebacken, oder gerieben und mit Zwiebeln oder Lauch vermengt, verfeinert mit Fleisch- und Wurstresten und in Leinensäckchen gefüllt, als "Beutelches". Alles was das Feld hergab, ab und zu verfeinert mit Fleisch, wurde verarbeitet.
Dass diese Gerichte nun aber auch noch gut schmeckten, davon profitieren wir heute noch. Vorausgesetzt, man mag die rustikale, nicht ganz kalorienbewusste Art und Weise. Aber statt einem schnellen Hamburger vom FastFood-Restaurant, darf es bei uns gerne mal ein Stück Salzekuchen vom Bäcker neben an sein. Einfach aus der Hand. Kalorientechnisch macht zumindest in diesem Vergleich das Rustikale sicher eine gute Figur.

 

Hier einmal zwei Bilder mit original Lauterbacher Spezialitäten:
Links ein Blech Salzekuchen, rechts eine, sagen wir mal "ausreichende" Menge Beutelches.

 


   

Das Bild stammt aus dem Jahr 1972, der Junge mit der Tasse bin ich im zarten Alter von 9 Jahren. Während ich sicher Milch trinke, sieht man rechts die unverzichtbare Tasse Kaffee. Allerdings untypisch mit Milch. Das obligatorische "Kännche" danach gab es bei uns damals natürlich nicht. Für alle Nicht-Lauterbacher: ein Kännche(n) ist ein 0,1 Liter Glas Schnaps (Kümmel oder "Frücht mit Bittern", das nach dem Salzekuchen am Tisch die Rund macht.

 

"Wenn man schon mal dran ist, kann man auch gleich mehr machen!" Nach diesem Motto ging es hier, im Jahr 1984, sicher auch. Ist aber sicher auch richtig. Das Reiben der rohen Kartoffeln ist schon recht aufwendig und macht die Küche nicht sauberer. Da ist es egal, ob man 5 oder 15 Beutel zubereitet. Und wer das Beutelches am nächsten Tag schon mal in Scheiben geschnitten und in der Pfanne gebacken probiert hat, ist froh wenn es genügend Reste gibt!

 

Hier noch mal eine Portion Beutelches ohne und mit Soße:

 

Auch nach dem Herausdrücken aus dem Leinensäckchen behält das Beutelches seine typische Form.

 

 Die hier abgebildete Hackfleischsoße ist eher untypisch für unser "Nationalgericht". Eigentlich isst man eine helle Zwiebelsoße dazu. Aber jeder wie er es gewohnt ist. Bei uns zuhause gab es sogar ab und zu Gulasch als Beilage. Hhmmmm!

 

Wie für alle regionalen Gerichte gilt auch für Beutelches: es gibt Dutzende von verschiedenen Rezepten. Wie oben schon gesehen, variieren die Beilagen von Zwiebel- oder Specksoßen ("Ditt", "Speckweich"), über Hackfleisch bis hin zu Gulasch.
Aber genau so viele Varianten gibt es für das Rezept selbst. Allen gemeinsam sind die geriebenen rohen Kartoffeln. Aber das war es dann auch schon. Die gängigste Varianten ist mit Lauch (Porree). Es gibt aber auch Varianten mit Zwiebeln, andere mit Möhren. Die einen geben ein Ei dazu, andere Gries oder Haferflocken. Als Einlage wird gerne Kassler genannt oder Pökelfleisch. Andere Rezepte nennen klein geschnittene Wurst, quasi quer durch den Kühlschrank. Manche mit, andere ohne Blutwurst. Es gibt aber auch Puristen, die wollen keinerlei Fleisch und Wurst im Beutelches.
Der Phantasie ist hier also keine Grenze gesetzt. Wie oben schon erwähnt: es wird verkocht, was da ist. Ich persönlich mag die Variante "Quer durch den Kühlschrank". Der Grundgeschmack ist da noch vorhanden, aber was wirklich dabei raus kommt, ist eine Überraschung. Aber um überhaupt eine Art Grundrezept zu haben, hier ein Rezept aus einem alten, Oberhessischen Kochbuch:

Beutelches

15 nicht zu kleine rohe Kartoffeln, 3 gekochte Kartoffeln, 500 g Solberfleisch (oder Cervelatwurst), Zwiebeln (oder das Gelbe vom Lauch), Salz, Pfeffer

Die rohen Kartoffeln schälen und reiben, die gekochten dazureiben. Das Fleisch oder die Wurst in kleine Würfel schneiden und mit Salz, Pfeffer, kleingehackten Zwiebeln (oder Lauch) zu der Kartoffelmasse geben. Diese in kleine Leinenbeutel (etwa 8x20 cm) füllen, Beutel zubinden und etwa eine Stunde in einem großen Topf mit Wasser kochen. Danach nimmt man die Beutelches heraus, schreckt mit kaltem Wasser ab, drückt den Inhalt heraus und schneidet ihn in Scheiben. Mit einer hellen Zwiebelsoße (oder Bratensoße) und eventuell mit Sauerkraut servieren.

Vogelsberger Nationalgericht

 

Als von Hause aus fauler Mensch der aber trotzdem gerne kocht, habe mir ich eine Schnell-Variante vom klassischen Beutelches ausgedacht. Sie ist sowohl für Einsteiger als auch für Leute geeignet, die nicht wegen eines Essens ihre ganze Küche putzen wollen, oder die erst gar keine Möglichkeit haben, Kartoffeln in größeren Mengen zu reiben.
Ferner benötigt man keine speziellen Leinenbeutel dafür, denn diese sind nicht wirklich einfach aufzutreiben. Schon gar nicht außerhalb Lauterbachs.

Das Ganze soll, wenn es fertig ist, so aussehen:

Bei diesem Rezept verwende ich statt frisch geriebener Kartoffeln einfach fertigen Kloßteig (aus rohen Kartoffeln).
Dazu kommen Lauch, die erwähnten Wurstreste, gewürfeltes Kasslerfleisch, Knoblauch, Pfeffer und eben alles, was einem so einfällt. Für das genaue Rezept mit Mengenangaben müsste ich das ganze einfach noch mal kochen und mitschreiben. Normalerweise koche ich eher so aus dem Handgelenk  ;-)
Die erwähnten Leinen-Beutelchen können einfach durch ein Geschirrtuch ersetzt werden. Man gibt dazu die Masse auf das Tuch und formt eine ca. 6 - 8 cm dicke Rolle daraus. Das Ganze schön fest zusammen rollen und dabei die Enden einschlagen, damit der Teig nicht heraus quellen kann. Alles mit einem festen Zwirn umwickeln und etwa eine Stunde in gut gesalztem, heißen Wasser ziehen lassen. Danach heraus nehmen, kurz mit kaltem Wasser abschrecken, aufwickeln und in Portionen abstechen. Wenn alles geklappt hat, sieht es so aus wie auf dem Bild oben.
Wer schon mal "richtige" Beutelches nach dem Kochen aus den Beuteln gedrückt hat, weiß wie entspannend das aufwickeln des Geschirrtuches ist. Das geht sogar ohne Verbrühungen an den Händen!
Aber eins ist auf jeden Fall zu beachten: wer nicht will, dass sein Beutelches nach Lavendel oder Sommerwiese schmeckt, bitte das Geschirrtuch vorher ohne Waschmittel waschen oder separat auskochen! Es gibt viele Variationen von Beutelches, aber Jasmin geht gar nicht!!
 

 

Noch kurz etwas in eigener Sache: das Thema "Beutelches" ist vielleicht nur der Anfang einer größeren Reihe von Rezepten aus der Region.
Wer möchte, kann mir gerne Kommentare, Vorschläge oder eigene Rezepte zuschicken, die ich dann ggf. hier veröffentlichen werde.
Wer also weitere Ideen und Rezepte zu regionalen Spezialitäten aus dem Bereich Lauterbach und Umgebung hat, einfach eine
senden!